BVerfG stärkt Rechte von Betroffenen bei Beleidigungen im Internet

Der Fall von Renate Künast erregte Aufsehen. Die Politikerin wurde auf Facebook mit üblen Beschimpfungen angefeindet. Da die Täter unter Pseudonymen agierten, beantragte sie einen gerichtlichen "Gestattungsbeschluss", der es Facebook erlaubt, die Klarnamen und Adressen der Täter herauszugeben. Die Erlaubnis wird jedoch nur erteilt, wenn die Äußerungen strafbare Beleidigungen darstellen. 

Obwohl die Kommentare Äußerungen wie "Krank im Kopf", "altes grünes Drecksschwein" oder "Geisteskrank" und Schlimmeres enthielten, verweigerte das Landgericht Berlin zunächst den Gestattungsbeschluss. Es handele sich durchgehend um zulässige Meinungsäußerungen. Sie seien zwar "teilweise sehr polemisch und überspitzt und zudem sexistisch. Die Antragstellerin selbst (habe) sich aber mit ihrem Zwischenruf, den sie bislang nicht öffentlich revidiert oder klargestellt hat, zu einer die Öffentlichkeit in ganz erheblichem Maße berührenden Frage geäußert und damit Widerstand aus der Bevölkerung provoziert. Zudem (müsse) sie als Politikerin in stärkerem Maße Kritik hinnehmen".

Erst nach mehreren Rechtsmitteln gestattete zunächst das LG Berlin hinsichtlich 6 von 22 Äußerungen die Herausgabe der Daten, später sah das Kammergericht in weiteren 6 Äußerungen jeweils strafbare Beleidigungen.

Renate Künast ging wegen der verbleibenden 10 Äußerungen vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), das ihr nun Recht gab (Beschluss vom 19.12.2021, Az. 1 BvR 1073/20). In einem heute veröffentlichten Beschluss stellt das Gericht fest, dass das Kammergericht die Reichweite der Meinungsfreiheit verkannt hat und die Äußerungen nicht mit der gegebenen Begründung als erlaubt ansehen durfte:

  1. Im Ausgangspunkt zutreffend erkennt das Kammergericht, dass es sich bei den noch verfahrensgegenständlichen Bezeichnungen der Beschwerdeführerin um erheblich ehrenrührige Herabsetzungen handelt. Das Kammergericht geht indes unter Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Persönlichkeitsrechts davon aus, dass eine Beleidigung im Sinne des § 185 StGB aus verfassungsrechtlichen Gründen nur dann vorliege, wenn die streitgegenständliche Äußerung „lediglich als persönliche Herabsetzung und Schmähung“ zu verstehen sei. Dieses Fehlverständnis setzt sich bei den weiteren Ausführungen des Fachgerichts fort. Zwar deutet das Kammergericht die Notwendigkeit einer Abwägung an. Verfassungsrechtlich fehlerhaft knüpft es die Voraussetzungen der Beleidigung sodann jedoch an die Sonderform der Schmähkritik an. Die angekündigte Abwägung mit dem Persönlichkeitsrecht der Beschwerdeführerin nimmt das Kammergericht in der Folge aber nicht vor. Es legt wiederholt einen fehlerhaften, mit dem Persönlichkeitsrecht der von ehrenrührigen Äußerungen Betroffenen unvereinbaren Maßstab an, wenn es annimmt, eine strafrechtliche Relevanz erreiche eine Äußerung erst dann, wenn ihr diffamierender Gehalt so erheblich sei, dass sie in jedem denkbaren Sachzusammenhang als bloße Herabsetzung des Betroffenen erscheine. Vorliegend hat sich das Fachgericht aufgrund einer fehlerhaften Maßstabsbildung, die eine Beleidigung letztlich mit der Schmähkritik gleichsetzt, mit der Abwägung der Gesichtspunkte des Einzelfalls nicht auseinandergesetzt. Hierin liegt eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Beschwerdeführerin.
  2. Infolge fehlerhafter Maßstabsbildung mangelt es für alle verfahrensgegenständlichen Äußerungen an der verfassungsrechtlich gebotenen Abwägung der betroffenen Rechtspositionen im Rahmen der rechtlichen Würdigung. Die vom Fachgericht zum Teil begründungslos verwendete Behauptung, die Beschwerdeführerin müsse den Angriff als Politikerin im öffentlichen Meinungskampf hinnehmen, ersetzt die erforderliche Abwägung nicht.

Damit stellt das Gericht klar, dass strafbare Beleidigungen und damit der zivilrechtliche Auskunftsanspruch auch jenseits der Grenze der Schmähkritik in Betracht kommt und stärkt so die Rechte der Geschädigten. Hervorzuheben ist ferner, dass auch Politker im öffentlichen Meinungskampf nicht pauschal weniger schutzwürdig sind, als andere Personen. Vielmehr liege ein wirksamer Schutz der Persönlichkeitsrechte von Amtsträgern und Politikern auch im öffentlichen Interesse.

 

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